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Paul Klee: "Die Grenzen des Verstandes"

Gedanken von Theo Breisacher zu einem Gemälde von Paul Klee aus dem Jahr 1927 (München, Pinakothek der Moderne)



Bei einem Ausflug nach München stand ich in der "Pinakothek der Moderne" vor diesem Bild von Paul Klee aus dem Jahr 1927. Es hat mich sofort gefesselt. In der unteren Hälfte ein komplexes Netz von feinen Linien und Strichen. Wer will, kann ein Gesicht erkennen: Die Augen sind mit zwei waagerecht liegenden Figuren ange­deutet, die an Schultüten erinnern. Oben im Bild eine Scheibe bzw. eine Kugel, in einem kräftigen Rotbraun gehal­ten. Um die Kugel herum eine große gelbrote Fläche, die von dieser Kugel angeleuchtet zu sein scheint.

 

Der Audio-Guide des Museums schlug verschiedene Deutungsmög­lichkeiten vor: Das Bild könnte das Irdische dem Kosmischen gegen­über stellen. Der Maler könnte aber auch eine Gegenüberstellung des Menschlichen und des Göttlichen beabsichtigen. Dieser Gegensatz spiegele sich in der kontrastreichen Verwendung von Farben und Linien wider. Die filigrane Strichkonstruk­tion würde für das Mensch­liche stehen; die Flächen und die inten­sivere Farbgebung oben für die Welt Gottes – so der Audio-Guide.

 

Diese Interpretation fand ich stimmig: In der unteren Bildhälfte dominiert die Horizontale. Doch gleichzeitig strebt der denkende Mensch über sich hinaus. Aber sein Bemühen, auch das Geheimnis Gottes zu erfassen, endet in einer dunklen Wolke. Der menschliche Ver­stand stößt an seine Grenzen.

 

Veit-Mario Thiede schrieb 2018 für die RNZ: Das Bild sei ein Kommen­tar „auf die damalige Rationalitäts­besessenheit am Bauhaus“. Klee war überzeugt: „Wir konstruieren und konstruieren, und doch ist Intui­tion immer noch eine gute Sache. Man kann ohne sie Beträchtliches, aber nicht alles. Im obersten Kreis … steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekts erlischt kläglich.“

 

Ich glaube nicht, dass Paul Klee die Möglichkeiten des menschlichen Verstandes schmälern wollte. Mit den akribisch gezeichneten Linien im unteren Teil könnte er im Gegen­teil sogar seine Leistungsfähigkeit beschreiben. Allerdings sind ihm klare Grenzen gesetzt. Es gibt Fragen, auf die wir mit Nachdenken und Forschen allein niemals eine verlässliche Antwort bekommen. Aber das ist nicht weiter schlimm. Die Grenzen des Verstandes in Demut zu akzeptieren, ist keine Dummheit, sondern vielmehr tiefste Lebensweisheit. Das ist für mich die zentrale Botschaft dieses Bildes.

 

Nehmen Sie zum Beispiel die soge­nannten „schwarzen Löcher“ in der Astronomie: Niemand bestreitet, dass es diese Phänomene gibt. Aber viel weiß man über sie nicht, nur das eine, dass unsere physika­lischen Gesetze dort nicht mehr gelten. Man kann lediglich die Ablenkung von Lichtstrahlen in der Nähe von schwarzen Löchern messen. Und das Gleichgewicht der kosmischen Kräfte lässt sich nur mit diesen seltsamen Himmelskörpern erklären. Aber niemand hat sie je gesehen oder direkt nachweisen können. Doch kein Mensch würde Physiker deshalb als töricht bezeichnen, weil sie dennoch an ihre Existenz glauben.

 

Zurück zum Bild: Als Christen glau­ben wir, dass es Gott tatsächlich gibt, auch wenn man seine Wirklich­keit mit technischen Instru­menten niemals nachweisen kann. Aber deshalb muss man seinen Verstand nicht an der Kirchentür abgeben. Christen sind nicht per se wissen­schaftsfeindlich. Aber sie erinnern auch die Naturwissenschaft daran, die ihr gesetzten Grenzen zu akzeptieren. Was man nicht messen kann, kann dennoch existieren. Dass man Gott mit den Möglich­keiten seines Verstand nicht erfassen kann, bedeutet nicht, dass es ihn nicht gibt.

 


Das ist aber noch nicht die ganze Botschaft: Beim Betrachten des Bildes bin ich an der roten Linie hängengeblieben, die die Leitern ganz oben mit der rotbraunen Kugel verbindet. Paul Klee ist diese Ver­bindung zwischen Gott und der Lebenswelt des Menschen offenbar wichtig. Was er selbst bei dieser Linie genau gedacht hat, weiß ich nicht. Wir Christen nennen diese Verbindungslinie: Glaube. Wir glauben, dass Gott sich nach uns Menschen sehnt und deshalb immer wieder Signale aus seiner göttlichen Wirklichkeit in die für uns sichtbare Welt geschickt hat. Und indem wir diesen Signalen Gottes Vertrauen schenken, können wir mit ihm in Verbindung treten. Wer sich Gott dagegen auf den wackligen Leitern der menschlichen Vernunft nähern möchte, muss über kurz oder lang scheitern. Auf diesem Weg ist Gott nicht „greif-bar“.

 

Und deshalb gefällt mir dieses Bild von Paul Klee so gut: Die Wirklich­keit Gottes, die man nur glauben kann, ist nicht weniger real, als das, was man mit Instrumenten messen kann. Hier liegt übrigens der Denk­fehler vieler Menschen: Was man „nur“ glauben kann, müsse notwen­dig vage und unbestimmt bleiben, sagen sie. Ich würde dem vehe­ment widersprechen: Das Ent­scheidende ist jene rote Linie, die von der Kugel nach unten geht: Nicht alles, was einer glaubt, ist auch real. Aber wenn die „Signale“ von Gott ausgehen, dann schon.

 

Paul Klee hat einmal gesagt: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ Dem stimme ich gerne zu: Die große Kugel ist nicht weniger wirklich als der untere Teil. Mit der intensiven Farbgebung oben im Bild geht er sogar noch einen Schritt weiter: Die Wirklichkeit Gottes ist die Quelle und der Ursprung von allem andern.

 

Das alles können wir zwar nicht beweisen. Und das wollen wir auch gar nicht. Aber wir glauben es, dass es diesen Gott tatsächlich gibt und er seine Hand nach uns Menschen ausstreckt. Wer sich darauf im Glauben einlässt, der kann diese Wirklichkeit Gottes immer wieder auch ganz konkret spüren …

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