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"Danke, Sie geben meinem Dasein einen Inhalt"

Besinnung von Theo Breisacher aus Staufen über einen philosophischen Mülleimer in Karlsruhe

 


Auf dem Friedrichsplatz in Karls­ruhe wirbt die Stadtverwaltung mit Sinn-Sprüchen für eine saubere Stadt. Einer davon ist mir neulich bei einem Besuch sofort ins Auge gesprungen: „Danke, Sie geben meinem Dasein einen Inhalt.“

 

Ganz schön philosophisch für einen schlichten Mülleimer. Wie ist es bei Ihnen? Was gibt Ihrem Dasein einen Inhalt? Weshalb stehen Sie morgens auf? Weshalb strengen Sie sich überhaupt an? Was muss geschehen, damit Sie an Silvester auf ein erfülltes Jahr zurück­blicken können?

 

Ein Mülleimer zerbricht sich natür­lich nicht den Kopf über den Sinn seines Daseins. Und am Gefühl von Sinnlosigkeit wird er sicher auch nicht zerbrechen, selbst wenn die Menschen ihren Müll auf den Boden werfen. Er ist ja nur ein simpler Metallbehälter. Aber seine wahre Bestimmung ist es tatsäch­lich, den Müll der Passanten zu sammeln und in sich aufzunehmen. Insofern müsste ein voller Müll­eimer eigentlich immer auch ein glücklicher Mülleimer sein …

 

Bei uns Menschen nennen die Psychologen und Sinnforscher vor allem zwei Faktoren, wodurch unser Leben als sinnvoll empfunden wird:  

 

1) Wenn wir auf andere Menschen einen positiven Einfluss haben und zu ihrem Wohlbefinden beitragen, sorgt das normalerweise für ein gutes Gefühl. Indem wir andern Gutes tun, erleben wir unser eigenes Leben als sinnvoll. Wir spüren: „Ich bin wichtig. Mein Handeln hat eine Bedeutung.“  

 

2) Genauso wichtig ist die Fähigkeit des Menschen, sich Ziele zu setzen. Der Wunsch, diese Ziele zu erreichen, kann enorme Ener­gien in uns freisetzen. Und wenn wir ein Ziel erreicht haben, erfüllt es uns mit Freude und Stolz.

 

Anders als der Mülleimer in Karls­ruhe können wir also selber etwas dazu beitragen, um einen Sinn im Leben zu finden. Und müssen nicht nur auf müllvermeidende Bürger oder Touristinnen hoffen.

 

Es ist eine alte Weisheit: Wenn man weiß, wozu etwas gut ist, kann man die größten Schmer­zen ertragen. Denn man kennt das Ziel. Wer sich dafür entscheidet, die Qualen der „Tour de France“ auf sich zu nehmen, muss ein bisschen verrückt sein. Aber die Aussicht auf einen Etappensieg lässt die Sportler alle Mühen vergessen.

 

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, sagt der Volksmund. Der Psycho­loge Viktor Frankl hat diesen Satz umformuliert und gesagt: „Wo ein Ziel ist, da ist auch ein Wille.“ Und so kann ein großes Ziel die Menschen tatsächlich zu Höchstleistungen anspornen.

 

Umgekehrt wird das Leben aber ausgesprochen mühsam und leer, wenn man keinen Sinn mehr sieht. Inzwischen gibt es nicht nur den Begriff des „Burn Out“, wenn jemand im Beruf über lange Zeit über seine Kräfte gelebt hat. Es gibt auch das Gegenteil: das „Bore Out“. Wer sich am Arbeitsplatz chronisch unter­fordert fühlt, kann am Ende genauso krank werden. Denn wir Menschen wollen ge­braucht werden. Wir wollen kreativ sein. Wir wollen unsere Arbeit und den täglichen Einsatz am Arbeitsplatz als sinnvoll erleben.

 

Dennoch ist das keine Frage, die einem jeden Tag ständig umtreibt. Wenn alles seinen gewohnten Gang nimmt, fragt man oft wenig nach dem Sinn des Lebens. Dafür meldet sich diese Frage in krisen­haften Zeiten umso deutlicher zu Wort. Und nicht selten trifft sie einen dann unerwartet mit einer unge­heuren Wucht: Wenn das Leben durch eine Krankheit völlig auf den Kopf gestellt wurde. Ganz oft auch an den Knotenpunkten des Lebens: Wenn die Kinder von zuhause ausziehen. Oder beim Übergang in den Ruhestand. Oder im hohen Alter, wenn man sein Haus verkaufen und ins Pflegeheim umziehen muss …

 

Welchen Sinn hat das Leben dann noch, wenn man alle großen Ziele bereits er­reicht hat? Welchen Sinn hat das Leben, wenn man mit seinen Händen oder mit seinen Ideen kaum noch etwas zum Allgemein­wohl beitragen kann?

 

Ich glaube, dass uns gerade in solchen Krisenzeiten das Vertrauen auf Gott eine entscheidende Hilfe bei der Frage nach dem Sinn des Lebens sein kann:

 

1) Der Glaube lehrt mich zunächst, dass der Wert meines Lebens überhaupt nicht von meiner Leis­tung abhängig ist. Mein Leben ist wertvoll, weil Gott mich gewollt hat und weil ich ihm wichtig bin. Und das auch noch im Rollstuhl. Auch noch im Pflege­heim. Auch dann noch, wenn ich überhaupt nichts mehr tun kann. Mein Leben hat einen Sinn, weil ich von Gott geliebt bin.

 

Für mich ist das eine ungeheure Entlastung: Ich muss nicht erst nach einem Sinn im Leben suchen oder diesen mit größter Anstren­gung selber ver­wirklichen. „Gott liebt mich – also bin ich“, hat es der Theologe Hans-Joachim Eckstein einmal formuliert: „Ich bin von Gott geliebt – das bin ich!“ Das ist der Sinn und der Inhalt meines Lebens.

 

2) Dazu kommt nun ein zweiter wichtiger Gedanke: Im Glauben bin ich nicht nur Teil der großen Fami­lie der „Kinder Gottes“. Zugleich bin ich durch den Glauben auch Teil der großen Geschichte Gottes mit dieser Welt und damit auch Teil eines großen Auftrags in dieser Welt. 

 

Eine Welt, die sich durch den Bruch der Sünde um Lichtjahre von ihrer ursprünglichen Bestimmung ent­fernt hat, diese Welt möchte Gott wieder heil machen. Diese Welt möchte er wieder zurückbringen in eine unmittelbare Gemeinschaft mit ihm. Und im Glauben bin ich nicht nur Teil dieser „Heils-Geschichte“ Gottes mit dieser Welt, ich werde selber dabei gebraucht. Das ist die Bestimmung meines Lebens: Gott segnet mich, damit ich für andere zum Segen werde.

 

Damit kommt allerdings nicht das Leistungsprinzip durch die Hintertür wieder ins Spiel: Selbst wenn ich nicht selber in einer Jungschar mitarbeiten kann, selbst wenn ich keine Besuche mehr machen und keine großen Geldbeträge mehr spenden kann, ich darf wissen: „Ich gehöre dazu. Ich bin Teil dieses Auftrags. Ich stehe hinter den „Aktiven“ und bete für sie. Was sie jetzt gerade für die Sache Gottes tun, ist auch mein Projekt. Und ich freue mich mit ihnen.“

 

3) Schließlich noch ein letzter Gedanke: Wir alle brauchen Ziele, damit wir unser Leben als sinnvoll empfinden. Da sind sich Psycho­logen und Lebensberater einig. Schwierig wird es oft dann, wenn man diese Ziele erreicht hat oder einem diese Teil-Ziele im Leben plötzlich fraglich vorkommen.

 

Im Vertrauen auf Gott finden wir ein ewiges Ziel, das die Grenzen der sichtbaren Welt übersteigt. Das hört sich vielleicht pathetisch an. Ist für mich aber der Kern meiner Hoffnung: Die vielen kleinen und durchaus oft sinnvollen Teil-Ziele meines Lebens sind umschlossen von der Bestimmung, die Gott meinem Leben gibt. Und wenn Gott die Mitte in meinem Leben ist, dann kann mir dieser Sinn selbst durch den Tod nicht verloren gehen.

 

Gerade im Alter fragen sich viele Menschen, welchen Sinn ihr Leben jetzt noch hat. Für einen Christen ist das Älterwerden kein immer­währender Abstieg, selbst wenn die körper­lichen und geistigen Kräfte nach­lassen mögen. Denn das Ziel unserer Bestimmung steht ja noch aus: Dem Gott zu begegnen, der uns ein Leben lang gesegnet und begleitet hat. –

 

Jenem Mülleimer auf dem Fried­richsplatz in Karlsruhe ist es egal, was man in ihn hineinschmeißt: Haupt­sache voll. Das gibt seinem Dasein den entscheidenden Sinn. Wir Menschen sollten etwas wähle­rischer sein, finde ich. Nicht alles, wonach wir greifen und in uns hineinstopfen, macht auch unsere Seele satt. Nicht jedes Ziel, das wir anstreben, macht uns auch auf Dauer glücklich. Ein voller Termin­kalender ist noch lange keine Garantie für ein erfülltes Leben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gerade bei diesem Thema etwas genauer hinschauen …


(Veröffentlicht im Gemeindebrief Kirchengemeinde Staufen & Münstertal im Juli 2024)

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